Mitten in Europa – Statement zum Ukrainekrieg

Mitten in Europa, nur wenige Flugstunden von uns entfernt, herrscht Krieg.
Die Menschen auf der ganzen Welt sind fassungslos, ratlos, traurig, wütend.
Wir sind entsetzt über Putins skrupellosen, brutalen und völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Wie viele andere Bürgerinnen und Bürger sind wir ergriffen und bestürzt von dem großen Leid, das die Zivilbevölkerung ertragen muss. Ihnen gilt unsere volle Solidarität und Unterstützung.

Der Angriff Putins auf die Ukraine ist eine Zäsur von weltpolitischer Bedeutung. Russland bricht das Völkerrecht und missachtet die gemeinsamen und verbindlichen Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und der Charta von Paris. Putins Angriff ist die mutwillige Zerstörung der europäischen Sicherheitsordnung, die wir nach dem Ende des Kalten Krieges geschaffen haben. Wir setzen uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für eine sofortige Waffenruhe und den unverzüglichen und vollständigen Abzug der russischen Truppen von ukrainischem Territorium ein. Für dieses Ziel nutzen wir alle diplomatischen Kanäle, die mit der russischen Regierung bestehen. Außerdem erhöhen wir den Druck durch wirtschaftliche Sanktionen.

Deutschland und seine verbündeten Partner haben in den vergangenen Wochen in mehreren Schritten umfangreiche Sanktionen bisher unbekannten Ausmaßes gegen Russland verhängt. Die Strafmaßnahmen sind direkt nach dem Beginn von Putins Angriff auf die Ukraine gemeinsam in Europa und in Absprache mit unseren transatlantischen Partnern ergriffen und täglich intensiviert worden. Sie zielen auf die russische Wirtschaft und die politische Führung.

Die getroffenen Maßnahmen verdeutlichen: Wenn es darauf ankommt, steht die internationale Gemeinschaft solidarisch zusammen und setzt alles daran, Frieden zu sichern. Klar ist allerdings auch: Diese Sanktionen werden nicht über Nacht zu einer Kursänderung Putins führen. Doch die russische Führung wird den hohen Preis, den sie für ihr kriegerisches Verhalten zahlen muss, spüren.

Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis und steht für den Schutz seiner Mitglieder ein. Da die Ukraine kein NATO-Mitglied ist, werden sich die NATO-Mitgliedsländer auch nicht aktiv an militärischen Aktionen in der Ukraine beteiligen. Das ist auch richtig so: Ein aktiver Eintritt eines NATO-Landes in diesen Krieg hätte Folgen nicht absehbaren Ausmaßes. Die deutsche Bundesregierung hat nach langem Abwägen entschieden, der Ukraine Waffen zu liefern. Wir stellen 1000 Panzerabwehrwaffen und 500 Boden-Luft-Raketen aus Bundeswehr-Beständen zur Verfügung. Die Bundesregierung hat darüber hinaus den Weg freigemacht für die Lieferung von mehreren Haubitzen aus DDR-Beständen, die sich zurzeit in Estland befinden. Die Zustimmung zu Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet stellt eine Zeitenwende in der deutschen Außenpolitik dar. Was noch vor wenigen Wochen für die meisten undenkbar war, ist nun beschlossen worden. Es war die richtige Entscheidung. Der ukrainische Staat hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Gleichzeitig müssen wir alles daran setzen, die diplomatischen Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen.

Um unsere Freiheit und Demokratie auch zukünftig zuverlässig zu schützen, brauchen wir eine leistungsfähige Bundeswehr. Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind. Bundeskanzler Scholz hat daher am 27. Februar ein einmaliges Sondervermögen „Bundeswehr“ von 100 Mrd. Euro angekündigt, um die Bundeswehr besser auszustatten und für die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft aufzustellen. Diese Mittel werden wir in den nächsten Jahren für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen. Zudem hat der Bundeskanzler angekündigt, von nun an mehr als zwei Prozent des BIP in unsere Verteidigung zu investieren. Damit erfüllen wir die von uns mit beschlossenen Vorgaben des NATO-Gipfels 2014 in Wales, als das Zwei-Prozent-Ziel erstmals in einem Gipfeldokument festgehalten wurde. Auch dafür werden die zusätzlichen Mittel aus dem Sondervermögen sorgen.

Diese Krise bedroht unsere Energieversorgung. Die Importanteile fossiler Energiequellen aus Russland liegen für Öl bei 35 Prozent, für Kohle bei 50 Prozent und für Gas bei 55 Prozent. Ziel ist es, die hohe Abhängigkeit von russischen Importen bei fossilen Energieträgern zu überwinden. Wichtigster Schlüssel für eine Energie-Souveränität bleibt deshalb die Energiewende. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist deshalb auch eine Frage der nationalen und europäischen Sicherheit. Mit Blick auf die steigenden Gaskosten ist es richtig, dass die Bundesregierung den Heizkostenzuschuss für Empfängerinnen und Empfänger von Wohngeld sowie für Auszubildende und Studentinnen und Studenten, die BAföG beziehen, verdoppelt hat. Der einmalige Heizkostenzuschuss von 270€ wird automatisch an diejenigen, die bezugsberechtigt sind, ausgezahlt. Es muss kein Antrag dafür gestellt werden.

Putins Krieg wird allerdings nicht nur extern verurteilt. Auch aus der russischen Zivilbevölkerung heraus gibt es seit Beginn des Krieges Demonstrationen und Proteste gegen den Krieg. Den mutigen Menschen, die dort auf die Straße gehen, drohen Gewalt und harte Strafen. Trotzdem nehmen die Proteste nicht ab. Auch den mutigen Menschen in Russland, die sich gegen diesen Krieg unter Verlust der eigenen Sicherheit einsetzen, muss unsere Solidarität gelten.

Erst kürzlich wurde ein neues Gesetz in Russland beschlossen, das es Journalistinnen und Journalisten unmöglich macht, frei über den Krieg in der Ukraine zu berichten. Soziale Medien wie Instagram, Facebook und Twitter wurden verboten. Dieser Krieg wird nicht nur mit tödlichen Waffen, sondern auch mit falschen Informationen geführt. Das Ziel ist eine Blase aus Lügen und Propaganda, die die Unrechtmäßigkeit dieses Krieges verschleiern soll. Für die Menschen in Russland ist es mittlerweile kaum noch möglich, sich mithilfe von seriösen Quellen zu informieren. Die wenigen unabhängigen Medien, die sich in Russland für eine differenzierte Sicht jenseits des Kremls eingesetzt haben, mussten nun schließen. Das ist ein großer Verlust für die russische Zivilgesellschaft.

Ziel des Ganzen ist es, die Gesellschaft innerhalb und auch außerhalb Russlands zu desinformieren und zu spalten, indem denjenigen, die russische Medien verfolgen, eine andere, falsche Realität vermittelt wird. Sie sollen isoliert werden und im Sinne Putins agieren.

In Deutschland leben Millionen Menschen mit postsowjetischen Wurzeln. Sie sind von der aktuellen Situation persönlich besonders betroffen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Putin damit erfolgreich ist, unsere Gesellschaft zu spalten und Menschen gegeneinander auszuspielen. Tätliche Übergriffe und Anfeindungen gegen russischsprachige Menschen bzw. Menschen mit postsowjetischem Hintergrund dürfen nicht akzeptiert werden. Die Wut und die Trauer über Putins Angriffskrieg auf die Ukraine ist zurecht groß. Doch darf sich diese Wut niemals in Zorn, Diskriminierung und Angriffe gegenüber unschuldigen Menschen verwandeln. Auf den sozialen Zusammenhalt kommt es gerade jetzt an!

Seit Ausbruch des Krieges sind viele Menschen aus der Ukraine auf der Flucht. Die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft aller europäischen Staaten, vor allem der Nachbarstaaten der Ukraine, ist beispielhaft und vorbildlich. Auch in Deutschland sind viele Menschen und Organisationen ehrenamtlich aktiv geworden: so wurden Materiallieferungen in die Ukraine organisiert, geflüchtete Familien zuhause aufgenommen, Unterstützung bei den Amtsbesuchen geleistet oder Geld an Hilfsorganisationen gespendet.

Auch unsere Städte und Gemeinden im Wetteraukreis haben direkt gehandelt und packen seit Ausbruch des Krieges tatkräftig überall dort an, wo sie gebraucht werden. Sie leisten schnelle und unbürokratische Hilfe bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten. An dieser Stelle möchten wir uns bei den Menschen bedanken, die spontan Geld oder Sachspenden gespendet oder sogar Geflüchtete bei sich zuhause aufgenommen haben sowie bei den Städten und Gemeinden, die in wahnsinniger Geschwindigkeit alle Vorkehrungen getroffen haben, um die nötige Infrastruktur vor Ort zu schaffen. Das zeigt, was möglich ist, wenn wir zusammenarbeiten.

Hoffentlich hält diese solidarische Haltung den Geflüchteten gegenüber an. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Lasst uns gemeinsam an einem Strang ziehen!