Die SPD in Nidda hat ihr 100 jähriges Bestehen auch zum Anlass genommen, die Geschichte der SPD kritisch zu analysieren um sich auch den Zukunfstfragen zu stellen. Bei einer Veranstaltung in Nidda am 9. September d.J. hat Vorstandsmitglied Lothar Schelenz die Diskussion mit einem Impulsvortrag eröffnet.
Hier das leicht überarbeitete Redemanuskript.
Warum macht es sich die SPD so schwer?
Zugegeben, eine provokante Überschrift, aber sind wir mal ehrlich, es ist so! Die SPD wird zur Zeit als Partei der Kompromisse, was ja eigentlich gut ist, ohne eigenes Profil und als Staatspartei wahrgenommen, deren Funktionsträger es mit der Karriere sehr eng halten, dabei aber vergessen, für was die Sozialdemokratie im Bewusstsein der Menschen stehen sollte! Die SPD‘ oder besser das ‚mystische Denken über die SPD‘ hat eine soziale Funktion bei den Menschen und diese beinhalten die Begriffe Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Diese Begriffe stellen im eigentlichen Sinn einen Widerspruch da, Freiheit und Gleichheit schließen sich aus, Beispiel: es gibt leistungsfähigere Menschen, die ganz einfach aufgrund ihrer Fähigkeiten mehr erreichen können, mehr haben. Wenn diese Menschen mehr abgeben sollen, um die nicht so leistungsstarken Menschen zu unterstützen, können sie nicht frei sein, ebenso wenig frei wie die Empfänger, die ja im eigentlichen Sinn abhängig werden. Also liegt darin ein Widerspruch! Um aber unsere Ziele zu erreichen, oder zumindest ihnen näher – zu kommen, müssen wir GERECHT regulieren, das ist klar, daraus ergeben sich aber politische KONFLIKTE!! Zur gerechten Regulierung und zur Lösung dieser Konflikte braucht es die SPD .Um aber eine GERECHTE Regulierung der Zustände zu erreichen, braucht es Glaubwürdigkeit und zwar Glaubwürdigkeit bei den Menschen, die auf GERECHTE REGULIERUNGEN angewiesen sind und die die SPD auch WÄHLEN sollen! Dabei kommt es natürlich auf unser Auftreten und auf die Sprache an die wir benutzen! Im Sozialismus/Kommunismus hat man in diesem Zusammenhang vom “KLASSENBEWUSSTSEIN“ gesprochen.
FRAGE: Haben wir ein Klassenbewusstsein, ein Parteibewusstsein??
Stellen wir uns mal die Frage: WOFÜR WURDE DIE SPD GEGRÜNDET ?
Man kann die Erwartungen an die SPD direkt mit dem Stück „Die Weber“ von Gerhard Hauptmann verbinden! Dabei möchte ich ein Gedicht von Heinrich Heine einleitend zitieren, welches von sehr starker Bedeutung für Gerhard Hauptmann beim Schreiben seines Gesellschaftsdramas „Die Weber“ hatte: IM DÜSTEREN AUGE KEINE TRÄENE, SIE SITZEN AM WEBSTUHL UND FLETSCHEN DIE ZÄHNE, Deutschland, DEUTSCHLAND WIR WEBEN DEIN LEICHENTUCH! WIR WEBEN,WIR WEBEN !! Die zunehmende Mechanisierung der Produktionsweise in der Leinen – und Seidenweberei und die wachsende Habgier der Fabrikanten trieben die ausgebeuteten Handwerker in die Verzweiflung; Krankheit und Not folgten! Gerhard Hauptmann, der aus einer Weberfamilie stammte, rührte das Schicksal und er nahm sich des Themas an. Die Armut der Arbeiter zum Ende des 19. Jahrhunderts war unvorstellbar, es fehlte den abhängig Beschäftigten, und das waren in der Gründerphase der Industriegesellschaft schon viele, die vom Land in die Städte gingen, jegliche soziale Absicherung. Durch Gerhardt Hauptmanns Stück „Die Weber“ war das soziale Drama der Arbeiter auf DER Bildfläche erschienen und die soziale Frage verbreitete sich in Windeseile über das Land! Damit wurde diese ‚ SOZIALE Frage‘ die Grundlage, auf der sich die Sozialdemokratie organisierte und aufgrund der WAHRHAFTIGEN Dringlichkeit: massentauglich!
Die soziale Frage und der damit verbundene Wille zu Veränderungen der Lebensverhältnisse war das verbindende Element der Arbeiterklasse! Das bedeutete aber nicht, dass die Arbeiter in allen anderen Politikbereichen eine Meinung hatten, nein, es gab damals Kaisertreue, Demokratiefeindliche, Katholiken, Evangelische oder auch desinteressierte Sozialdemokraten! Merkt ihr etwas? Ich komme später darauf zurück. Das verbindende war nur die ‚Soziale Frage‘, die Antworten auf Gesellschaftliche Fragen war ambivalent und so ist es auch heute noch! Ergo wurde die SPD gegründet, um das soziale Schicksal der Arbeiterinnen und Arbeiter zu verbessern. Als Kampforganisation der SPD wurden die Gewerkschaften gegründet, um gezielt auf die Verhältnisse in den Betrieben Einfluss zu nehmen! Die unterschiedlichen Einschätzungen bei anstehenden gesellschaftlichen Fragen führten innerhalb der SPD immer wieder zu Zerwürfnissen bis hin zu Abspaltungen. Es machte und macht uns schwach! ‚Wenn wir schreiten Seit‘ an Seit‘ gilt nicht immer in der SPD.
Nun, über die Jahrzehnte bis etwa ins Jahr 2000, mit der unsäglichen Unterbrechung zwischen 1933-1945, wurden immer wieder große Reformprojekte von Sozialdemokraten initiiert! Dabei muss zur Erinnerung die Einführung des Frauenwahlrechts, die Abschaffung des Ständewahlrechts, das Verbot von Kinderarbeit, die 5 Tage Woche, die 40 Std. Arbeitswoche, Urlaub und Urlaubsgeld, die paritätisch gezahlte Krankenversicherung, das Arbeitslosengeld, die Rentenversicherung, frei zugängliche Schulen, staatliche Krankenhäuser und vieles andere mehr genannt werden. Große gesellschaftspolitisch relevante Themen sind noch dazu gekommen. Beispiele ? : Ostpolitik, mit dem damals polarisierenden Thema ‚Anerkennung der Oder-Neisse Grenze‘ als Ost-Grenze Deutschlands, ich erinnere mich gut daran, was wir uns als Sozialdemokraten damals anhören mussten, es waren teils ehrabschneidende Äußerungen von Strauß, Dregger und ihren ewig gestrigen Kollegen, gerade auch in Hessen ansässig, mit einem Geschichtsbild, welches sehr von der naja, dunklen Zeit motiviert gewesen ist!
Die Sozialdemokratie in den 1930er Jahren wurde angeführt von Otto Wels, der stellvertretend für die SPD 1933 Hitlers Ermächtigungsgesetz ablehnte, in die Emigration ging und sich eben nicht der damals herrschenden Meinung anschloss. Der markante Satz von Otto Wels hat bisher und soll auch weiter unser Handeln bestimmen, zur Erinnerung: „FREIHEIT UND LEBEN KANN MAN UNS NEHMEN, DIE EHRE NICHT!“. Mit diesem Satz begann das Martyrium für viele Sozialdemokraten!
Die Großtat der Sozialdemokratie in Deutschland war die Weimarer Verfassung von 1919, die zukunftsweisend war und auch später Grundlage des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1949 wurde, verbunden auf ewig mit dem Namen Carlo Schmid.
Willy Brandt mit seinem 1972 ausgesprochenen Satz „WIR WOLLEN MEHR DEMOKRATIE WAGEN“ und den folgenden Veränderungen wie die Abschaffung des §175 und einiger anderer Nazi – Gesetze ließen die Gesellschaft aufatmen, ja explodieren. Wir bestimmten die öffentliche Debatte! Wir waren Meinungsführer und in der Folge davon konnten wir Menschen motivieren, mitzuarbeiten für eine sozial gerechteren Zukunft! Wir konnten die Gesellschaftspolitik mit der nach gerechter Verteilung strebenden Sozialpolitik verbinden und parlamentarische Mehrheiten sichern! Die damals führenden Sozialdemokraten waren glaubwürdig, die Sozialdemokratie zeigte Empathie und die Menschen identifizierten sich mit Willi Brandt, Georg Leber, Helmuth Schmidt, Herbert Wehner, Georg August Zinn usw.!
WOFÜR WURDE DIE SPD GEGRÜNDET ? war die von mir gestellte Frage.
Meine Antwort lautet: UM DAFÜR SORGE ZU TRAGEN, DASS DIE VORHANDENEN MITTEL FAIR VERTEILT WERDEN! Damit sozialer Frieden zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten (Klassen) herrscht!
Vor diesem Hintergrund und den gesellschaftlichen Veränderung müssen wir die heutigen Probleme betrachten! Die SPD kümmert sich um uns, sie sorgt für den Sozialwohnungsbau, für gute Schulen, für geordnete und gerechte Bedingungen am Arbeitsmarkt, für das Klima, Rente, Lerngerechtigkeit usw.! Die Frage ist: werden wir dem allem gerecht, kann man überhaupt allem gerecht werden?
Man kann es nicht! Man muss es aber versuchen, immer wieder! Der ehemalige hessische Ministerpräsident Georg August Zinn sagte einmal, ich zitiere: „Demokratie ist nicht nur eine Staatsform, sondern eine Lebensform“, wir sollten das nicht vergessen und uns immer wieder daran erinnern!!!
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass alle die in meinem Vortrag genannten großartigen Projekte zwischen 1890 und 2002 zu verorten sind! Also im hinter uns liegenden Industriezeitalter. Wir leben heute in einer Transferzeit, hin zum vollständigen Medien – und Informationszeitalter, mit wechselnden Projekten, weniger festen Arbeitsplätzen, einem nicht mehr vorhandenem Bewusstsein für den Wert von Arbeit. Dafür wächst das Bewusstsein für das Klima, nicht unbedingt für soziale Verbesserungen. Wir müssen beide Themen verbinden, wie es schon einmal der SPD gelungen ist, die vielen Sympathisanten der 68er Generation für die damals anstehenden gesellschaftlichen und sozialpolitischen Ziele zu gewinnen!
Das Smartphone mit seinen Möglichkeiten ersetzt Zeitungen, Bücher und reale soziale Treffpunkte, an denen Menschen zusammenkommen. 3D – Drucker und Industrieroboter ersetzen Fabrikarbeiter!! Handwerksarbeiten werden von Arbeitsmigranten aus anderen Teilen der Welt übernommen, denen Tarifbindung, Krankenversicherung, Altersvorsorge usw. nicht wichtig sind, sie ziehen weiter. Wir müssen uns diesem Themen stärker zuwenden, Glaubwürdig! Die deutsche Gesellschaft hat in der Gesamtbetrachtung einen Wohlstand erreicht, der das Bewusstsein für Arme, Leistungsschwache, Kranke und alte Menschen nicht mehr prioritär auf dem Schirm hat! Um weiter in relativem sozialen Frieden in Deutschland leben zu können, muss von uns Sozialdemokraten dieses Bewusstsein wieder nach vorne gebracht werden, wer könnte das besser als die SPD, mit uns als authentische Vertreter der SPD!
Die Grünen sind als exemplarische Vertreter der Generation der Erben zu den genannten Themen, provokant ausgedrückt, ungeeignet und sicher auch nicht sonderlich glaubwürdig, stehen sie doch heute für die Klasse der Besserverdienenden! Die Links Partei ! Naja? Diese Leute, von den Grünen und der Links -Partei, die es mehrheitlich durch Willy Brandts „mehr Demokratie wagen“ und die dadurch losgetretene Bildungsoffensive (Bildung für alle) geschafft haben, sich in der Mittelschicht zu etablieren, bestimmen die Debatte, in der eben nicht die soziale Gerechtigkeit im Vordergrund steht, sondern wie bei den Linken die Spaltung, der Klassenkampf und bei den Grünen das Klima! Wir müssen das ändern, WIR MÜSSEN DIE Themen zusammenführen, auch in Nidda!
Warum tun wir uns so schwer?
Der Kern der Krise der SPD ist die Krise der Parlamentarischen Demokratie! Die Macht und Herrschaftsverhältnisse haben sich globalisiert, also internationalisiert. Zum verdeutlichen: das Internet hat keine Grenzen, Google nicht, Finanzströme nicht, das Klima nicht, Europa nicht! Unsere Welt ist grenzenlos geworden, unser Denken und Handeln sind aber begrenzt! Dazu kommt, dass Parteien, natürlich auch die SPD, mitverantwortlich sind für die schon genannten Zustände. Auch die Schuldenbremse, Deregulierungen am Arbeitsmarkt, Privatisierung öffentlichen Eigentumes, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Senkung der Vermögenssteuer, Freihandelsabkommen und noch einiges andere haben nur die Macht der Konzerne erhöht und nicht allen Menschen geholfen. Unkontrolliertes wirtschaften, immerwährendes wachsen und das freie Spiel der Kräfte haben natürlich auch keinen guten Einfluss auf das Klima, noch weniger schaffen sie Wohlstand für alle. Eine Politik, die ihren Focus nur auf eine florierende Wirtschaft hin ausrichtet, kann nicht der Partner für eine auf gerechte Umverteilung abzielende Politik der SPD sein! Das betrifft die AfD mit ihrer engstirnigen, gestrigen Politik, die FDP mit ihrem Credo: der Staat kann nichts, die freie Wirtschaft alles, die CDU/CSU mit ihrer prioritär rein auf Macht ausgerichteten Politik!!
Dieses Wissen ist sicher in der SPD nicht neu, trotzdem machen wir weiter mit einer Politik der schwarzen Null, einer sogenannten neoliberalen wirtschaftlichen Ausrichtung unserer Politik. Erstaunlich, oder sind wir schon infiziert vom Glauben, dass der Markt alle Probleme löst? Nein, es ist nicht erstaunlich, sehen wir uns mal das Verhalten von Gerhard Schröder oder auch Peer Steinbrück an. Was ist denn nach der Politikkarriere gekommen? Geldscheffeln, egal mit was und mit wem, hatten oberste Priorität. Diktatoren, Kabarettisten, egal, Hauptsache: MEHRWERT! Grauselig. Oder das Verhalten von Sigmar Gabriel: er kann es in der Wahrnehmung der Menschen nicht verwinden, keine Macht mehr zu haben – ist es das, für das Sozialdemokratie stehen soll, Macht und Reichtum? Sind wir, wie gerade angemerkt, INFIZIERT?? Ich sage NEIN! Die Frage ist, was kann man besser machen? Zuerst muss man die Namen derer nennen, die in unermüdlicher Lobbyarbeit für die global agierenden Wirtschaftsunternehmen handeln! Weiter müssen wir fragen: wer ist abhängig vom stetig rieselnden Geld-Tropf der Rüstungsindustrie und damit indirekt auch verantwortlich für die Flüchtlingskrise und indirekt auch verantwortlich für die Krise der Parlamentarischen Demokratie? Die Namen müssen auf den Tisch. Eine rücksichtslose Aufarbeitung unserer Vergangenheit seit 1998 bis heute ist nach meiner Meinung, unerlässlich! Der Kampfruf muss lauten: GEGEN UNTERDRÜCKUNG, AUSBEUTUNG und DISKRIMINIERUNG! WER FÜR DIE SOZIALDEMOKRATIE KÄMPFEN WILL, MUSS DIEJENIGEN BEIM NAMEN NENNEN, DIE UNSERE DEMOKRATIE AUSHÖHLEN, DARF DEM STREBEN NACH MACHT UNTER AUFGABE SOZIALDEMOKRATISCHER WERTE NICHT NACHGEBEN!
Im Prinzip ist es einfach, erinnern wir uns daran, was Gerhard Hauptmann in seinem Werk „Die Weber“ ausdrückte: die Forderung nach Chancengleichheit und Gerechtigkeit, um die Möglichkeit zu haben, auf gerechter Basis seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften! Dieses Denken muss uns umtreiben! Ändern wir unser DENKEN UND HANDELN nicht, könnte Heinrich Heines Gedicht über die Weber dafür stehen, dass wir nichts erreichen und nichts gelernt haben!
Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch-
Wir weben, wir weben!!!
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpresst,
Und uns wie Hunde verkommen lässt-
Wir weben, wir weben!!!!
KÄMPFEN WIR WEITER GEMEINSAM FÜR EINE GERECHTERE WELT!!!